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Vorrede: Das Universum in uns

Parallelscreening der beiden epochalen Science-Fictions „2001. Odyssee im Weltraum“ (Stanley Kubrick, 1968) und „Solaris“ (Andrei Tarkowski, 1972) – ein Diptychon

Hänschen klein – damit fing es an, meine Damen und Herren. Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein – liebe Freunde und Mitmenschen – ging allein in die weite Welt hinein. Und aus der Welt wurde der Weltraum. Aus Stock und Hut Computerwerkzeug und Weltraumanzug. Und bevor es der Computer war, bevor er der Stock war, war es ein Knochen, zeigt uns Stanley Kubrick, also fing es mit dem Knochen an, mit dem Tod, dem man von der Schippe springen will, vor dem man wegläuft, indem man ihn zufügt – „Ich spüre es. Ich habe Angst. Guten Tag meine Herren …“ – und so sagenhafte Distanzen zurücklegt, in Zeit und Raum – und dabei doch immer nur in eine Art Spiegel schaut, sein Bild im Wasser sieht, guter alter Narziss!

Der britische Regisseur Stanley Kubrick, am 12. Juli 1928 in New York City geboren, am 7. März 1999 in Childwickbury Manor bei London gestorben, ist ein berühmter Perfektionist, der seine Filme bis ins kleinste Detail durchplant. „2001. Odyssee im Weltraum“ kam 1968 ins Kino – als Vorbereitung hatte Kubrick mit seinem Mitdrehbuchschreiber Arthur C. Clarke unzählige Science-Fictions geschaut – es ging ihm wohl um nicht weniger, als den Science-Fiction der Science-Fictions abzuliefern. Da in seinem Film die Existenz außerirdischen Lebens eine gewisse Rolle spielt, soll er sogar versucht haben, sich gegen die Entdeckung außerirdischen Lebens vor dem Filmstart zu versichern – Lyod’s lehnte allerdings ab …

Andrei Tarkowski, geboren am 4. April 1932 in Sawraschje bei Jurjewez, gestorben am 29. Dezember 1986 in Paris, ist nach Sergej Eisenstein der vielleicht berühmteste russische Regisseur. In der UDSSR mussten seine Filme gegen den Widerstand der Behörden durchgesetzt werden. Bei internationalen Filmfesten wurde er zum Teil unter Protest offizieller sowjetischen Vertreter ausgezeichnet. Sein „Solaris“ kam 1972 ins Kino.

Für beide Regisseure blieb es der einzige Ausflug in den Science-Fiction – zumindest wenn man nicht glaubt, dass Kubrick auch die Mondlandung der Amerikaner gedreht hat … Und Tarkowskis verfilmt mit „Stalker“ zwar noch einen Science-Fiction-Roman, hat dort allerdings so konsequent auf Science-Fiction-Attribute verzichtet, dass – wie er sagt – der Zuschauer das Gefühl haben kann, alles würde sich heute abspielen und wäre gleich nebenan.

Kubricks „2001“ war der letzte Film in dem Menschen auf dem Mond gezeigt werden, bevor Armstrong ihn wirklich betrat, „2001“ ist also ein Film aus der Zeit vor, „Solaris“ einer aus der Zeit nach der Mondlandung. Und auch wenn die beiden Filme gerne verglichen werden – vielleicht noch nie so direkt wie wir es heute Abend tun –, Tarkowski hat „2001“ erst gesehen, als er „Solaris“ gedreht hatte, und fand ihn dann der Überlieferung nach steril. Ein Urteil, das weniger harsch anmutet, wenn man weiß, dass Tarkowski auch gegenüber „Solaris“ etwas reserviert war und jeden anderen Film seines eigenen Werkes mehr schätzte. Stanislaw Lem wiederum, dessen Roman „Solaris“ Tarkowski ja verfilmt hat, mochte diesen Film überhaupt nicht, er soll gesagt haben, dass er ja nicht über die erotischen Probleme von Leuten im All geschrieben hat – und ich mag zwar Lem, man lese etwa dessen „Sterntagebücher“ oder den „Futurologischen Kongress“, aber – und das ist selten – die „Solaris“-Verfilmung packt mich viel mehr als das Buch. Der Roman zu „2001“ wiederum erschien erst nach dem Film, der auf der Kurzgeschichte „The Sentinel“ von Arthur C. Clarke basiert – und beide habe ich noch nicht gelesen, das All ist groß! Zu entdecken gibt es genug. In „2001“ kann man suchen, nach Bezügen zu Homers „Odyssee“, während „Solaris“ Cervantes „Don Quichotte“ aufgreift.

Diese beiden hochkomplexen Filme aus der Zeit des Kalten Krieges gelten jedenfalls als mustergültige Archetypen des Science-Fictions für West und Ost – obwohl man beide Regisseure schwerlich als systemkonform betrachten kann – Kubrick ist nicht Hollywood, und Tarkowski verließ sogar seine Familie, als er in den Westen ging, nur um weiterdrehen zu können, „Nostalghia“ in Bagno Vignoni in der Toskana und dann in Schweden seinen letzten Film „Opfer“ – der kurz vor der Tschernobylkatastrophe fertig wurde, als hätte er sie vorhergesehen –, das „Erbarme Dich“ aus der Matthäuspassion im Vor- und Abspann.

Die beiden Filme, „2001“ von 1968 und „Solaris“ von 1972, die somit genau eine Olympiade überspannen (die von Mexico-Stadt nach München), haben allerdings einiges gemeinsam: Überlänge, einen äußerst langsamen Beginn, eine Wuchtigkeit, die ihresgleichen sucht, und nach unglaublicher Beschleunigung ein verblüffendes, in beiden Fällen zumindest zunächst sehr rätselhaftes Ende. „Wir wollten mehr Fragen aufwerfen als beantworten“, sagte Arthur C. Clarke auf den Vorwurf der Unverständlichkeit. Und Tarkowski schreibt in seinem Buch „Die versiegelte Zeit“: „‚Solaris‘ handelt von Menschen, die sich im Kosmos verirrt haben und nun, ob sie es wollen oder nicht, sich noch ein weiteres Wissen aneignen müssen.“ Zunächst gilt es zu sehen, ob sich Verstehen einstellt oder nicht. Mit etwas Unbegriffenen konfrontiert zu werden – darum geht es ja auch in „2001“ und „Solaris“.

Heute Abend können wir beide Filme nebeneinander vergleichen, schauen, inwieweit sie kommunizieren, uns den einen durch den anderen erklären oder verrätseln – die Raumstationen vergleichen, die Aussichten aus ihnen vergleichen, die Geheimhaltungsprozeduren und das Auftreten der offiziellen Staatsbedenkenträger vergleichen, das langsame Vergehen und Langwerden der Zeit vergleichen, David und Kelvin vergleichen, darüber nachdenken, was es heißt, Mensch zu sein, menschlich zu sein, vergleichen, wovor sie Angst haben, vom einen in den anderen Film springen, über die Frauenarmut im All nachsinnen – in „Solaris“ spielt eine Frau immerhin dennoch eine der stärksten Rollen, während es in „2001“ ein Computer ist, „HAL 9000“ eben, mit der langsamen, ruhigen, bedächtigen Männerstimme – nach Kubricks ursprünglichem Plan hätte er allerdings statt „HAL“ „Athena“ heißen sollen, Athena, die griechische Göttin der Weisheit, aber statt der weiblichen Stimme und Persönlichkeit bekam er die der Männerwelt. „Hänschen klein“, singt er – ein genialer Einfall der deutschen Übersetzung – im Original ist es „Daisy Bell“, besser bekannt als „A Bicycle Built for Two“. Eines der ersten elektronischen Musiktücke, das jemals in einen Computer programmiert wurde – mit vom Computer erzeugter Stimme. Das war auf einer IBM 7094 in den Bell Laboratories – geht man von H A L jeweils einen Buchstaben weiter, landet man bei I B M – reiner Zufall, beteuerten Kubrick und Clarke, HAL singt also: „Daisy, Daisy, give me your answer do. I’m half crazy all for the love of you. It won’t be a stylish marriage, I can’t afford a carriage. But you’ll look sweet upon the seat of a bicycle built for two.” Und Hari in „Solaris“ ist auch so verrückt vor Liebe, dass sie mit Gewalt durch geschlossene Türen geht …

Vergleichen, vergleichen, sich packen lassen, ausruhen, verweilen, hin- und herspringen – die lange Fahrt durch die damals unerhört futuristische Architektur, die Tarkowski in Tokio gedreht hat – und es war nicht einfach die Genehmigung zu bekommen, außerhalb der UDSSR zu drehen –, der Flug durch den Farbtunnel bei Kubrick – für den die Slitscan-Technik erfunden wurde, bei der durch einen in schwarzes Papier geschnittenen Schlitz gedreht wird, hinter dem beleuchtete Scheiben in der langen Belichtung die Streifen werfen … –, das Landen mit der Raumkapsel in einem merkwürdigen Zimmer und das Heimkehren in ein Elternhaus, in dem es regnet. Wasser, Luft und Vakuum. – Und durchs Vakuum, durchs All, ohne Helm, ist Astronaut Dave für einen hastigen Moment unterwegs. Kubricks Film ist oft ziemlich realistisch, über diese Szene wurde aber oft und lange gestritten, der Service „Fragen Sie einen Astrophysiker“ auf den Seiten der NASA stellt aber fest, dass man, vorausgesetzt man hält die Luft nicht an, durchaus einige Sekunden lang überleben kann – in meiner Rede zur I love no waiting Ausstellung „Some Kind of Vacuum“ habe ich das näher ausgeführt – dass Dave also vorher Luft holt, ist ein Fehler, wie Drehbuchautor Clarke später zugibt.

Fehler – auch darauf haben sich viele Filmfans eingeschossen, und interessant ist, das die Liste zu „2001“ bedeutend länger ist, als die zu „Solaris“. Etwa nach einem Schnitt vertauschte Essenspakete, die Erde, die auf dem näheren Planeten weiter weg scheint als auf einem weiter entfernten, unstimmige Rotationsrichtungen, eine Stewardess, deren Stolperschritt auf dem Raumschiff verrät, dass sie nicht schwerelos ist … In „Solaris“ mal ein reflektierter Kameramann, weiter runtergebrannte Kerzen nach einem Schnitt – aber das Universum ist vielleicht nicht allerorten ein Kontinuum – ich selbst habe nichts davon bemerkt, dazu müsste man schon auf Zeitlupe umschalten, in der dann auch die berühmte lange Gebrauchsanweisung für die Zero Gravity Toilet erst lesbar wird. Filme, die man lange betrachten kann wie Gemälde. Auf der „Solaris“ gibt es einige: Eine Ikone von Andrei Rubljow etwa. Und auf ein anderes Bild komme ich gleich noch zu sprechen. Und hier in unserem Kontext nicht uninteressant: In einer abgedrehten, aber nicht verwendeten Szene aus „2001“ gab es auf der Mondbasis sogar eine Malklasse mit vielen Staffeleien … die Malerei ist also noch nicht tot!

Und dann natürlich die Vorliebe für besondere Filmmusik. Man stelle sich vor: eine minutenlange Kamerafahrt über ein Bild, Bruegels Winterbild, Jäger im Schnee, dazu Musik von Johann Sebastian Bach, „Ich ruf’ zu dir, Herr Jesu Christ“ – eine Art Heimweh, eine Nostalgie: Wir befinden uns weit weg, in einer Raumstation über einem Planeten, der ganz von seinem einzigen Ozean bedeckt ist, der so heißt wie er: „Solaris“. Diese Einstellung von Andrei Tarkowski reißt einen ähnlich weiten historischen Raum auf, wie bei Stanley Kubrick der Knochen, den ein ekstatischer Menschenaffe in die Luft wirft, und der dann in einem der berühmtesten Schnitte der Filmgeschichte zu einem Satelliten im Orbit wird – wer genau hinsieht entdeckt, dass die drei gezeigten Satelliten Nationen zugeordnet sind, nämlich Deutschland, Frankreich und China, Nuklearsatelliten als die Waffen, die sich inzwischen aus dem Totschläger-Knochen entwickelt haben – zunächst hatte Kubrick vor, dass sein Star Child (oder nennen wir es Hänschen), diese am Ende detonieren lässt, er verwarf diesen Gedanken aber, da ja schon in der Endpartie seines vorherigen Films „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“ eine Atombombe hochging, zu ähnlich also. Um aber wieder auf die Filmmusik zurückzukommen: Von diesem Knochenwurf und Sattelitenflug wird übergeleitet, zum Tanz eines Raumschiffes um eine Raumstation – und das zu den Takten von Walzerkönig Johann Strauß: „An der schönen blauen Donau“. Und wie ein Motto des Films kontrastierend Namensvetter Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“. Eingespielt von Karajan – aber vom Label Decca unter der Bedingung, dass das nicht im Abspann erwähnt wird – man wollte diese E-Musik ja nicht durch einen fragwürdigen Science-Fiction tangieren. In der Plattenveröffentlichung des Soundtracks ist daher eine Version von Karl Böhm – und Karajan soll sehr zornig auf sein Label gewesen sein. Nach dem Riesenerfolg versuchte DECCA es wieder halbwegs wettzumachen, indem sie auf Karajans Platte den Hinweis aufdrucken lies, dass dies die Fassung ist, die man in „2001“ hört. Für die Filmmusik sollte Kubrick auf Wunsch der Produktionsfirma Metro-Goldwyn-Mayer eigentlich ja den Komponisten Alex North engagieren. Und er lies ihn auch komponieren – bevor er ihm mitteilte, dass er im zweiten Teil des Films lieber nur Geräusche hätte. Dass Norths Filmmusik zum ersten Teil auch nicht genommen wurde, erfuhr dieser erst, als er den fertigen Film auf der Premiere im Kino sah … Und dann – wir sind immer noch bei der Musik – natürlich: György Ligeti – seine „Atmosphères“ werden wir gleich hören – auch in seinem letzten Film „Eyes wide shut“ hat Kubrick ihm wichtige Passagen eingeräumt.

Musik und Geräusche bekommen Raum im Weltraum – Platz für einen weiteren Vergleich, die Wortkargheit beider Filme. In „2001“ etwa wird von den 143 Minuten Spielzeit nur in 48 Minuten des Filmes gesprochen und in den ersten 25 Minuten und den letzten 22 Minuten überhaupt nicht. Schön, dass diese beiden Filme, die aufgrund ihrer Erzähltechnik von vielen als äußerst langweilig eingestuft werden, dennoch keine Flops waren. „2001“ gewann den Oscar für die besten Spezialeffekte (für das herausragende Make-Up bekam im selben Jahr übrigens der „Planet der Affen“ einen Honorary Award – wohl auch, weil die Jury bei Kubricks Affen gar nicht gemerkt hat, dass das Menschen sind …). – „Solaris“ erhielt in Cannes den Großen Preis der Jury.

„Solaris“ und „2001“ – Filme, die uns weit entführen, herausholen und doch tief in uns und unsere Geschichte hineinhorchen lassen, auf dem Weg in die Zukunft. „Anders als häufig angenommen liegt die funktionale Bestimmung der Kunst nun aber eben nicht darin, Gedanken anzuregen, Ideen zu vermitteln oder als Beispiel zu dienen“, schreibt Tarkowski. „Nein, das Ziel der Kunst besteht vielmehr darin, den Menschen auf seinen Tod vorzubereiten, ihn in seinem tiefsten Inneren betroffen zu machen.“ Aus Homers Helena werden Kubricks HAL und Tarkowskis Hari. Jede Reise ist eine Rückkehr. Penelope. Das Universum in uns. Und am Ende Pathos versus Melancholie. „Jeder Mensch neigt dazu, die Welt für das zu halten, wie er sie sieht und wahrnimmt. Doch leider ist sie völlig anders“, sagt Tarkowski und stellt fest, die letzte Wahrheit ist unerreichbar.

Viele der in dieser Rede anzitierten Fakten und Gerüchte verdanke ich den entsprechenden Seiten der englischen und deutschen Wikipedia und dem wunderbaren Fundus der Internet Movie Database. Und dass diese beiden Filme nun heute Abend nebeneinander gezeigt werden können, dafür vielen Dank an das Entgegenkommen von Warner Bros und dem Progress Filmverleih – für „2001“ wurde, da wir hier nicht im Kino sind, sogar die Erlaubnis von Kubricks Erben aus London eingeholt. Und besonderen Dank an Uli Aigner und Tanja Oster, vielen Dank euch, Dank an Herrn Hofmeister und das ganze Team, Dank an die Lothringer13, die heute unsere Raumstation ist.

Wir zeigen die beiden Filme gleichzeitig nebeneinander, links Kubricks „2001. Odyssee im Weltraum“, rechts Tarkowskis „Solaris“. „Solaris“ ist eine Viertelstunde länger, nämlich 159 Minuten gegenüber den 143 Minuten von „2001“, aber in der originalen Kinoversion hatte Kubrick eine Pause von ca. 15 Minuten nach dem Kapitel Mondstation Clavius vorgesehen – und dort werden wir den Film also eine Viertelstunde anhalten und bei „2001“ in die Sterne schauen, in den gewaltigen Nachthimmel, damit die beiden Filme ungefähr gleichzeitig enden – „2001“ ist da allerdings schon wieder minutenlang ins Schwarz getaucht, versinkt zur Abspannmusik ins Universum. Die Tonspur so wie die Filme: von links „2001“, von rechts „Solaris“. Jetzt viel Vergnügen mit diesem Diptychon! Schön das ihr da seid! Wir alle rasen durchs Weltall, auch jetzt in diesem Moment, in dem wir zwei seiner Spiegelbilder in diese Halle holen. In beiden geht es um unsere Imagination, das Universum in uns. Vielen Dank. Film ab!

Nikolai Vogel 2010

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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